Selbstdarstellung:
In der heute allseits perfekt geübten Kunst der Selbstdarstellung habe
ich es nicht weit gebracht. Wenn ein Interviewer mich früge:
Warum komponieren Sie eigentlich? (eine Frage, die mir auch oft anderen
gegenüber auf die Zunge kommt) könnte ich nichts antworten als:
Nicht einmal des Geldes wegen. Ich tue es, weil es mir einfach Vergnügen
macht. Oder:
Für wen komponieren Sie?
Für mich natürlich. Und für die, die es ehrlich hören mögen. Das müssen
keine Massen sein (gegenüber der Quantität soll man misstrauisch sein).
Wenn es zehn oder fünf von hundert sind, hat es sich doch gelohnt, würde
ich meinen.
Schweigen würde ich über augenblicklich allein seligmachende
Kunst-Ideologien und die Zukunft der Kunst.
Lieblingswerke? Lieblingskomponisten?
Mozart und alles übrige, was künstlerisch Hand und Fuß hat - vom
gregorianischen Choral bis Messiaen. Immer dünkt mir inmitten solchen
Reichtums das am schönsten, was ich gerade höre. Was ich hasse?
Dummheit. Schlagwörter. Wichtigtuerei. Was ich liebe?
Unabhängigkeit. Jede Art Widerstand gegen Zwang.
Die Gefährten meiner Jugend waren (während meiner Berliner Studienzeit)
Sergiu Celibidache -von ihm habe ich allerhand gelernt und nicht nur,
was mit Musik zu tun hat - und Edgar Bakirgian -einer der gescheitesten
liebenswertesten Menschen, die mir je begegnet sind. Er hat mich mit
Josquins Werken und mitten im Krieg in Berlin mit Weberns Musik
versehen. In Wien waren es Josef Garai (der Neffe Karl Rankls,
vielseitig hochbegabt), Paul Kont, Hans Kann, Georg Eisler. Gemeinsam
erfanden wir kurz nach Kriegsende in spontanen Sessions den nachmals
aleatorischen Aspekt praktischer Musikausübung: also gut ein Dutzend
Jahre früher, bevor solches dann, unter Mithilfe von Presse, Rundfunk
und Sponsoren in ganz großem Stil kommerziell ausgewertet wurde, womit
diese ursprünglich amüsante Tätigkeit im Handumdrehen mit den
Bleigewichten der Ernsthaftigkeit beladen war für jene, die daran
glaubten und für jene, die daran verdienten. Damit liegt ein
fundamentaler Unterschied zu uns Vorläufern und Pfadfindern klar auf der
Hand: wir waren nichts besseres als verspielte junge Hunde!
Durch H. C. Robbins Landon, den zum Haydn-Liebhaber geborenen späteren
Freund, kam ich zur Musikwissenschaft, so zufällig wie laut Sprichwort
die Jungfrau zum Kind. Musikwissenschaft war damals noch kein
Modestudium wie heute. Das bald darauf wie von selbst sich ausbreitende
Fachgebiet wurde fruchtbar für mich. Ich habe diese Arbeit, von der ich
vorher keine Vorstellung hatte, mehr und mehr liebgewonnen.
Ich muß an dieser Stelle bekennen, daß ich – à propos junger Hund -
immerzu und überhaupt nur mit allen möglichen mir lieben Dingen
beschäftigt gewesen bin: mit Komponieren, Edieren, und schließlich mit
Unterrichten. So gab es immer auch genügend Abwechslung, was ich
ebenfalls sehr gerne mag.
Weil ich zu keiner Zeit vom Komponisten-Job abhängig sein wollte (sogar
ein Angebot Brechts habe ich deswegen ausgeschlagen), leiste ich mir den
Luxus des Nonkonformismus: zu komponieren, was, wann und wie ich will - zu einer Zeit, in der gar so viele
just auf exakt dieselbe Art wie andere viele „originell'' sein wollen.
„Originell" ist in. Bei mir aber löst, was zur Tagesmode verkommt,
regelmäßig heftige Gegenreflexe aus.
Es gibt Gedanken, die einen prägen, oder richtiger, die einem zeigen,
daß sie, noch bevor wir es wußten, uns längst schon entsprochen haben.
Es geht mir so mit Haydns wunderschönen rückschauenden Worten, die
besagen, daß er in der Weltabgeschiedenheit seiner Wirkungsstätte
künstlerisch unbeirrbar bleiben durfte und schon deswegen „original" (im
wahren Wortsinn) werden mußte. Durch nichts beirrt und allein auf sich
gestellt: ich liebe diesen Stolz, der darin sich zeigt und für den es
heutzutage kaum noch Vergleichbares gibt. Unter den in Österreich
lebenden Komponisten bewundere ich solchen Einzelgänger-Stolz bei meinem
Freund Gottfried von Einem. Weitabgewandtheit ist sicherlich nicht seine
Sache, umso mehr aber Unbeirrbarkeit. Obgleich ich selber den Reiz von
Abenteuern und Irritationen schätze und gelegentlich sehr offen mich
ihnen aussetze, brauche ich notwendig die splendid isolation im Sinne
Haydns: um ich selber zu sein. Die damit verbundene persönliche Absenz
im Vordergrund der Öffentlichkeit verschmerze ich. Dies wird mir oft als
Arroganz, oder umgekehrt, als Bescheidenheit ausgelegt. Keines von
beiden trifft zu; einerseits ist mir Marktschreierei zuwider und auch zu
mühsam, anderseits ist mir gleichgültig, was der oder jener von mir
denkt.
Wahr ist, daß bestimmende Wesensmerkmale sich schon im Kindesalter
zeigen. Landon wußte schon als Kind, daß die Musik der Wiener Klassik
sein Schicksal sein würde. Ich selbst erinnere mich kindlicher
Schwärmerei für den tschechischen Dichter Petr Bezruč.
Das war während meiner Schulzeit. Keines einzigen seiner Worte kann ich
mich heute entsinnen. Was mich aber nachhaltig beeindruckt hat, war die
Tatsache, daß die Zeitgenossen des Dichters nicht wußten, wer er war, wo
und wie er lebte, wie er aussah. Daß ein Dichter hinter seinem Werk
völlig verschwindet, galt mir als der unbestreitbare Gipfel aller
erstrebenswerten Schöpfer-Freuden. Man denke: seine Worte sind in aller
Munde, ihr Schöpfer aber entzieht sich der Welt! Bleibt unsichtbar,
ungreifbar, unbekannt! Der Name Bezruč war natürlich ein Pseudonym
(übersetzt heißt das „ohne Hand"); die seltsame Spurlosigkeit rund um
seine Person hatte damals wohl naheliegende politische Gründe. Aber das
interessierte mich nicht; das Bestechende war und blieb allein der
Gedanke: „niemand weiß, daß ich es bin..." und so weiter. Was für ein
exquisites Geheimnis!
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