Musikalische Dokumentation

Karl Heinz Füssl (1924-1992)

Konzert-Vortrag-Ausstellung

Wien 1996, 48S., Ill., Notenbeisp.

 

Inhalt:

Seite:

   

Programmfolge des Konzertabends

5

Selbstdarstellung

8

Thomas Leibnitz: Der Nachlaß Karl Heinz Füssl in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek

9

Günter Kahowez: Einige Gedanken über Füssls kompositorisches Schaffen. Versuch eines Überblicks über das Gesamtwerk

12

Alexander Stankovski: Karl Heinz Füssl als Lehrer – Erinnerungen, Spuren

20

Karl Heinz Füssl - Werkverzeichnis

22

Literatur von und über Heinz Füssl

38

Tonträgerverzeichnis

40

Die Ausstellung [Bearbeitung Liselotte Theiner]

41

 

Selbstdarstellung:

In der heute allseits perfekt geübten Kunst der Selbstdarstellung habe ich es nicht weit gebracht. Wenn ein Interviewer mich früge:
Warum komponieren Sie eigentlich? (eine Frage, die mir auch oft anderen gegenüber auf die Zunge kommt) könnte ich nichts antworten als:
Nicht einmal des Geldes wegen. Ich tue es, weil es mir einfach Vergnügen macht. Oder:
Für wen komponieren Sie?
Für mich natürlich. Und für die, die es ehrlich hören mögen. Das müssen keine Massen sein (gegenüber der Quantität soll man misstrauisch sein). Wenn es zehn oder fünf von hundert sind, hat es sich doch gelohnt, würde ich meinen.
Schweigen würde ich über augenblicklich allein seligmachende Kunst-Ideologien und die Zukunft der Kunst.
Lieblingswerke? Lieblingskomponisten?
Mozart und alles übrige, was künstlerisch Hand und Fuß hat - vom gregorianischen Choral bis Messiaen. Immer dünkt mir inmitten solchen Reichtums das am schönsten, was ich gerade höre. Was ich hasse?
Dummheit. Schlagwörter. Wichtigtuerei. Was ich liebe?
Unabhängigkeit. Jede Art Widerstand gegen Zwang.
Die Gefährten meiner Jugend waren (während meiner Berliner Studienzeit) Sergiu Celibidache -von ihm habe ich allerhand gelernt und nicht nur, was mit Musik zu tun hat - und Edgar Bakirgian -einer der gescheitesten liebenswertesten Menschen, die mir je begegnet sind. Er hat mich mit Josquins Werken und mitten im Krieg in Berlin mit Weberns Musik versehen. In Wien waren es Josef Garai (der Neffe Karl Rankls, vielseitig hochbegabt), Paul Kont, Hans Kann, Georg Eisler. Gemeinsam erfanden wir kurz nach Kriegsende in spontanen Sessions den nachmals aleatorischen Aspekt praktischer Musikausübung: also gut ein Dutzend Jahre früher, bevor solches dann, unter Mithilfe von Presse, Rundfunk und Sponsoren in ganz großem Stil kommerziell ausgewertet wurde, womit diese ursprünglich amüsante Tätigkeit im Handumdrehen mit den Bleigewichten der Ernsthaftigkeit beladen war für jene, die daran glaubten und für jene, die daran verdienten. Damit liegt ein fundamentaler Unterschied zu uns Vorläufern und Pfadfindern klar auf der Hand: wir waren nichts besseres als verspielte junge Hunde!
Durch H. C. Robbins Landon, den zum Haydn-Liebhaber geborenen späteren Freund, kam ich zur Musikwissenschaft, so zufällig wie laut Sprichwort die Jungfrau zum Kind. Musikwissenschaft war damals noch kein Modestudium wie heute. Das bald darauf wie von selbst sich ausbreitende Fachgebiet wurde fruchtbar für mich. Ich habe diese Arbeit, von der ich vorher keine Vorstellung hatte, mehr und mehr liebgewonnen.
Ich muß an dieser Stelle bekennen, daß ich – à propos junger Hund - immerzu und überhaupt nur mit allen möglichen mir lieben Dingen beschäftigt gewesen bin: mit Komponieren, Edieren, und schließlich mit Unterrichten. So gab es immer auch genügend Abwechslung, was ich ebenfalls sehr gerne mag.
Weil ich zu keiner Zeit vom Komponisten-Job abhängig sein wollte (sogar ein Angebot Brechts habe ich deswegen ausgeschlagen), leiste ich mir den Luxus des Nonkonformismus: zu komponieren, was, wann und wie ich will - zu einer Zeit, in der gar so viele just auf exakt dieselbe Art wie andere viele „originell'' sein wollen. „Originell" ist in. Bei mir aber löst, was zur Tagesmode verkommt, regelmäßig heftige Gegenreflexe aus.
Es gibt Gedanken, die einen prägen, oder richtiger, die einem zeigen, daß sie, noch bevor wir es wußten, uns längst schon entsprochen haben. Es geht mir so mit Haydns wunderschönen rückschauenden Worten, die besagen, daß er in der Weltabgeschiedenheit seiner Wirkungsstätte künstlerisch unbeirrbar bleiben durfte und schon deswegen „original" (im wahren Wortsinn) werden mußte. Durch nichts beirrt und allein auf sich gestellt: ich liebe diesen Stolz, der darin sich zeigt und für den es heutzutage kaum noch Vergleichbares gibt. Unter den in Österreich lebenden Komponisten bewundere ich solchen Einzelgänger-Stolz bei meinem Freund Gottfried von Einem. Weitabgewandtheit ist sicherlich nicht seine Sache, umso mehr aber Unbeirrbarkeit. Obgleich ich selber den Reiz von Abenteuern und Irritationen schätze und gelegentlich sehr offen mich ihnen aussetze, brauche ich notwendig die splendid isolation im Sinne Haydns: um ich selber zu sein. Die damit verbundene persönliche Absenz im Vordergrund der Öffentlichkeit verschmerze ich. Dies wird mir oft als Arroganz, oder umgekehrt, als Bescheidenheit ausgelegt. Keines von beiden trifft zu; einerseits ist mir Marktschreierei zuwider und auch zu mühsam, anderseits ist mir gleichgültig, was der oder jener von mir denkt.
Wahr ist, daß bestimmende Wesensmerkmale sich schon im Kindesalter zeigen. Landon wußte schon als Kind, daß die Musik der Wiener Klassik sein Schicksal sein würde. Ich selbst erinnere mich kindlicher Schwärmerei für den tschechischen Dichter Petr Bezruč.
Das war während meiner Schulzeit. Keines einzigen seiner Worte kann ich mich heute entsinnen. Was mich aber nachhaltig beeindruckt hat, war die Tatsache, daß die Zeitgenossen des Dichters nicht wußten, wer er war, wo und wie er lebte, wie er aussah. Daß ein Dichter hinter seinem Werk völlig verschwindet, galt mir als der unbestreitbare Gipfel aller erstrebenswerten Schöpfer-Freuden. Man denke: seine Worte sind in aller Munde, ihr Schöpfer aber entzieht sich der Welt! Bleibt unsichtbar, ungreifbar, unbekannt! Der Name Bezruč war natürlich ein Pseudonym (übersetzt heißt das „ohne Hand"); die seltsame Spurlosigkeit rund um seine Person hatte damals wohl naheliegende politische Gründe. Aber das interessierte mich nicht; das Bestechende war und blieb allein der Gedanke: „niemand weiß, daß ich es bin..." und so weiter. Was für ein exquisites Geheimnis!