Musikalische Dokumentation

Francis Burt

Konzert-Ausstellung

Wien 1990, 30 S., Ill., Notenbeisp.

 

Inhalt

Seite

   

Programmfolge des Konzertabends

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Texte

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F. Burt: Eine Selbstdarstellung?

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Hartmut Krones: Francis Burt – Eine Gesamtdarstellung

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Werkverzeichnis F. Burt

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Die Ausstellung [Bearb.: Liselotte Theiner]

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Selbstdarstellung:

Gewiß ein zweifelhaftes Unterfangen, denn die, die es so unterhaltsam machen, sind selten ganz aufrichtig, und die, die aufrichtig sind, sind meistens nur fad. Die trockene Auflistung von Tatsachen führt bekanntlich auch nicht zur Wahrheit. Wieviel "Dichtung" muß man also beimengen, um zu einer "Darstellung" zu gelangen? Vor die Alternative gestellt, entweder langweilig oder unaufrichtig zu sein, muß freilich der Künstler bedingungslos den zweiten Weg wählen. Wie dem auch sei, unbestritten ist wohl die Tatsache, daß ich von weither komme, denn Südostengland, wo ich geboren wurde und aufwuchs, ist nicht nur kilometermäßig sehr weit von Wien entfernt. Meine Kindheit dort war von Krankheit gezeichnet. Auch das ist belegbar. Etwa von meinem 6. bis 16. Lebensjahr mußte ich immer wieder der Schule fern bleiben, in meinem 14. Jahr sogar sechs Monate lang, wobei ich drei Monate bettlägerig war. In einem Schulsystem, das vor allem den Sport, die körperliche Ertüchtigung verherrlichte, war ich da naturgemäß Außenseiter. Meine liebe Familie weiß zwar zu berichten, wie gern ich in die Schule ging. Dagegen ist meine Erinnerung von der damaligen Zeit vornehmlich von der Überwindung der Angst geprägt, denn ich war körperlich einfach zu schwach, um mit den anderen Schülern richtig mitzumischen. Unter diesen Umständen fand ich eine Zuflucht in der Musik, spielte stundenlang Klavier und fing schon an, zu komponieren. Rückblickend bin ich felsenfest überzeugt, daß ich es meiner kränklichen Kindheit zu verdanken habe, daß ich, der hoffnungsvolle Sproß einer total amusischen, gutbürgerlichen Familie naturwissenschaftlich-technischer Prägung, zum kaum verhüllten Entsetzen der übrigen Familienmitglieder Komponist wurde. Vielleicht ist das wieder nur "Dichtung", aber ich finde beim besten Willen keine überzeugende Erklärung dafür, warum ich von der mir sowohl durch Familientradition, wie auch durch eigene Begabung und Zuneigung vorgezeichneten naturwissenschaftlichen Laufbahn derart kraß und überraschend ausscheren sollte. Die Entscheidung, Komposition als Lebensweg und Beruf zu ergreifen (und kein anderer Aspekt der musikalischen Tätigkeit kam für mich jemals in Betracht), erschien mir zur Zeit meines Schulabgangs dennoch äußerst gewagt. Es war wie ein Schritt ins Märchenland, denn außer meinem exzentrischen alten Klavierlehrer kannte ich keinen einzigen Menschen, der im Bereich der Musik oder der Künste tätig war. Aber dann mußte ich einrücken. Gott sei Dank, war ich gerade zu jung, um am Krieg aktiv teilzunehmen, aber ich mußte dreieinhalb Jahre beim Heer bleiben. Während dieser Zeit war ich für 15 Monate (April 1946 -Juli 1947) nach Nigeria versetzt, und das war ein Erlebnis, das ich nicht vermissen möchte.
Ich werde nie den ersten Anblick vergessen, als das Schiff in Takoradi im heutigen Ghana anlegte, zweier Afrikaner, Hand in Hand in der Sonne sitzend - Ausdruck einer natürlichen Sinnlichkeit, die mir völlig fremd war.
Ich werde nie vergessen die schwüle, wolkenbedeckte Hitze von Aba in Südostnigeria und die atemlose Stille der Abende, wo zuerst die Grillen, dann die Frösche und zuletzt die Trommeln anfingen, bevor sich kurze Zeit später die Himmel aufmachten und der Regen in Sturzbächen hinuntergoß. Denn dort waren die Tage still und die Nächte laut, und über dem Lande lag eine dunkel brütende Atmosphäre, die ich genauso wenig enträtseln, wie ich die polymetrische Vielschichtigkeit der Trommeln entziffern konnte.
Unvergeßlich bleibt mir auch die ungeheure Weite der nördlichen Steppen, wo man sich unwillkürlich in die Nähe Gottes versetzt fühlt. Da hatte ich drei Monate lang eine kleine Einheit zu führen und war die meiste Zeit gänzlich allein mit meinen Afrikanern, eine Situation, die zu einem fortgesetzten Brüten über die letzten Dinge führte, was für einen so jungen Menschen wohl nicht ganz ungefährlich war.

So wurde Nigeria für mich zu einem Schlüsselerlebnis. Dort begegnete ich für das erste Mal Völkern, die nach einer völlig anderen Lebensphilosophie lebten als wir in England, was zu dem ersten großen Riß in dem mir anerzogenen Panzer führte. Dort hörte ich auch eine ganz andere Musik als die, die ich in der Schule kennengelernt hatte. Man wird zwar vergebens in meiner Musik direkte Merkmale afrikanischer Musik suchen, aber letztere hat zweifellos mein Gefühl für das Rhythmisch-Tänzerische, das Kinästhetische in der Musik geweckt, was dann zum Ausgangspunkt meiner kompositorischen Entwicklung wurde.
Nach meiner Rückkehr von Afrika fiel die Entscheidung: Ich begann 1948 an der Royal Academy of Music in London bei Howard Ferguson Komposition zu studieren. Er war mir ein guter Lehrer, aber ich strebte ins Ausland. Der blasse Lyrismus der meisten damaligen englischen Musik war mir richtiggehend abhold. Ich liebte die trockene Ironie, den federnden Rhythmus und die antiromantische Haltung eines Strawinskys der mittleren Periode. Aus dieser Einstellung heraus suchte ich einen kongenialen Lehrer und fand ihn in Boris Blacher, bei dem ich dann drei Jahre lang studierte. Mein verehrter Meister hat mir sehr viel gegeben. Ich bewunderte die Stringenz und die vollkommene Vorurteilslosigkeit seines Denkens und liebte seine leise Ironie. Als Kompositionslehrer hat er mir vor allem beigebracht, eine Idee klar darzustellen und zu Ende zu entwickeln - das, was ich in meiner Weise und unter ganz anderen Umständen meinen eigenen Schülern beizubringen versuche. Aber nicht nur der Lehrer, sondern auch das ganze Ambiente war für mich sehr wichtig. Berlin lag damals noch in Trümmern. Die Musik der Drehorgel erinnerte an Kurt Weill, und die "Dreigroschenoper" lag noch in der Luft. Zwangsläufig mußte ich mich mit den Geschehnissen der 20-30er-Jahre auseinandersetzen und in einer ganz anderen Weise, als ich dies in England schon getan hatte. Unter anderem lernte ich dort zum ersten Mal etwas von der jüdischen Kultur kennen, die vor dem Krieg vor allem im Osten Europas so wichtig war. Dies führte zu einer langjährigen Beschäftigung damit, ohne die ich meinen Golem nie geschrieben hätte.
Nach Berlin verbrachte ich ein kurzes Jahr in Rom - damals eine paradiesische Stadt, in der ich mich nur mit äußerster Schwierigkeit zum Arbeiten zwingen konnte - und dann ein Jahr in London, wo ich arm und nicht sehr glücklich war. Aus dieser Situation hat mich ein besonders gut dotiertes Arbeitsstipendium gerettet, das man in England voll versteuert hätte. Was für ein Anlaß wäre besser, um wieder ins Ausland zu flüchten? Aber wohin nur? Nach langer Überlegung entschloß ich mich, es in Wien zu probieren - wenigstens kannte ich hier einen Menschen, nämlich Gottfried von Einem, der auch bei Blacher studiert hatte und mir später ein sehr guter Freund wurde. So kam ich 1956 hierher.
Interessanter als die Frage, warum ich kam, ist aber wohl, warum ich blieb. Erstens konnte man damals in Wien arm sein, ohne sich zu genieren, was mir sehr wichtig war, weil ich wirklich wenig Geld hatte und doch entschlossen war, womöglich keinen Brotberuf zu ergreifen. Außerdem habe ich immer empfunden, daß diese Stadt, die Stadt Nestroys, das bestmögliche Gegengift ist zu einer Erziehung, so wie ich sie "genossen" habe. Also blieb ich - ich sagte immer "vorübergehend ständig" - bis ich 1973 auf einen Lehrstuhl für Komposition an der Wiener Musikhochschule berufen wurde. Dann mußte ich das Wort "vorübergehend" wohl oder übel streichen! Ich glaube, ich übertrieb nicht, als ich anfangs behauptete, ich sei von weither gekommen. Ich meine aber, daß man dies auch von meiner musikalischen Entwicklung sagen kann. Von der Ironie und den Tanzrhythmen meiner frühen Oper Volpone über die dunkleren Töne und das Rubato von Der Golem bis hin zu den Klangflächenelementen und den Einflüssen aus der elektronischen Musik in meinen späteren Werken, wo Takt und Tanz sich beinahe aufgelöst haben, das ist wohl ein langer Weg, und jede Station dieses Weges ist für mich unzertrennlich mit einer Reise verbunden. Aber das wäre eine andere Geschichte, wie der Märchenerzähler sagte, als er seinen Hut die Runde gehen ließ. Hauptsache: die Reise geht weiter ...