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Musikalische Dokumentation Theodor Berger 1905 - 1992 Konzert – Vortrag – Ausstellung Wien 1998, 30 S., Ill., Notenbeisp. |
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Selbstdarstellung:
Zuerst muss ich sagen, dass ich seit jeher
große Scheu habe vor jeder Beiziehung meiner Person zu Untersuchungen
über meine Arbeit. Es ist eine Hauptbemühung meiner Arbeit, mich selbst
darin zu überwinden und mich weitmöglichst auf das gegenständliche Ziel
zu objektivieren. Dieses Ziel liegt außerhalb meiner Person. Je weiter
es von mir weg ist, desto stärker kann ich es lieben. Wo immer ich eine
Ader von mir selbst in meiner Arbeits-Masse finde, wird das Lieben
sofort schwächer oder setzt ganz aus.
Es gab nur zwei Bücher im Elternhaus; woher
sie stammten, weiß ich nicht mehr. Das eine war ein heilkundliches, das
meiner Mutter gehörte. Das zweite gehörte dem Vater, und war ein Atlas
aus dem Jahre 1900. Dieser war eine Quelle von Traum und Glück für mich.
Oft lag ich stundenlang über einer aufgeblätterten Karte und erträumte
die Reisen durch das gezeigte Land. Nachwirkungen jener frühzeitigen
Träume, so scheint es mir, dauern noch immer an: in meinem
Arbeitszimmer, wo kein Klavier steht, sind die Wände mit Landkarten
überdeckt, die mir den Raum magisch erweitern wie Fenster in die Welt.
Vielleicht ist das Verlangen nach diesen Fenstern ein Nachklang aus
früher Kinderzeit. Von meiner Mutter hingegen stammen gewiss zwei Eigenschaften, welche mir die Arbeit und überhaupt das ganze Leben sehr schwierig machen. Eine davon ist vererbt: eine schwere Neurasthenie; so schwer, dass ich schon als Schulknabe beim Anatomie-Unterricht immer gleich nach den ersten Minuten ohnmächtig wurde. Die zweite ist angezüchtet durch irrtümliche Erziehungsauffassungen und deren schädliche Anwendung. So war meine Mutter als Erzieherin einer Gartenschere vergleichbar: in der Hauptsache ging es ihr darum, die Knospen und Triebe des erwachenden Lebens abzuzwicken. Die Regungen und der Ausstrom aller im Kinde aufkeimenden Geistigkeit erfuhren Abweisung und Entmutigung vor Mutters Wache und Rute. Aus solcher Erziehung ergeben sich Schäden und Belastungen für das ganze Leben, von denen ein Mensch sich nicht befreien kann; auch ein noch so sehr introspectiver Verstand kann ihn nicht mehr davon erlösen.
Vielleicht ist es ein Dauerergebnis der erwähnten Erbanlagen und frühen
Belastungen, dass ich für meine Lebensaufgaben und meine Arbeit niemals
auf stabile Eutonie rechnen Stärkstes Erlebnis in früher Kinderzeit erbrachten Spaziergänge, die mein Vater mit uns Buben an Sonntagen manchmal durch die Auwälder zum nahen Donaustrom unternahm. Schon lange vor dem Ansichtigwerden des Stromes nahm ich ihn wahr. Die in Gebüsch und Baumkronen verflochtenen Luftglocken hauchten uns das leise Rauchen des Stromes entgegen ins Land, mich unsagbar berückend; an den Ufern selbst war ich dann ganz und gar davongetragen in akustischer Magie. Ich glaube nicht, dass ich mich täusche, wenn mir jene frühen Eindrücke aus Natur-Akustik heute noch bestimmend erscheinen für wesentliche Musik-Begierden, die auf so manche meiner späteren Arbeiten stark einwirkten. Vielleicht daher kommt das eingepflanzte Verlangen nach dem behauchten Ton, nach dem atmenden Klang, nach dem mitschwebenden Raum; auch die Angst vor dem kleidlos gesperrten Ton, dem starren Klang-Beton, dem non-akustischen Konzertsaal. Daher wohl das Bedürfnis, den Partituren akustische Belebungen schon im voraus zu sichern; der Musik schon in der Komposition ein akustisches Kleid anzulegen; in die Partituren Akustik zu integrieren. Nicht mehr Kind, etwa 17 Jahre war ich, als ich erstmals Orchestermusik hörte, und zwar die Stadtpark-Kapelle in St. Pölten. Ein neuer Zauberschlag traf damals mein Leben. Ich musste unbedingt nach Wien kommen zu einem Symphoniekonzert. Aber es gab kein Geld für die Bahnfahrt. Als Schwarzfahrer gelangte Ich ans Ziel. Aber es gab auch kein Geld für eine Eintrittskarte. Doch der Türsteher am langen Gang war gut zu mir. Als der Dirigent, Franz Schalk, damals Chef der Wiener Staatsoper ins Gebäude kam, eilte er auf ihn zu und zeigt auf den schlechtgekleideten armen Mann vom Land und erzählte ihm schnell meine Not. Nun kam für mich ein ereignischwerer Augenblick: Schalk nahm mich unterm Arm, über die Stiege und durch die oberen Gänge, öffnete alle Türen und respektierte mich, als wäre ich die erste Dame des Landes. Ich bekam einen herrlichen Platz in jenem herrlichen ersten Symphoniekonzert meines Lebens. So hat mich Schalk geradezu gestanzt zum Optimisten, und ein solcher blieb ich auch durch viele Jahre ungeachtet des Zick-Zack meiner Nerven-Konstitution. Lebenslänglich dauert meine Verehrung für diesen Grandseigneur, er hat in mir einen Glauben an Humanismus begründet. Einige Zeit später fügte es das Schicksal wieder sehr gütig und entscheidend für einen langen Lebensabschnitt. Es fanden sich begüterte Familien und steuerten die nötigen Mittel bei, damit ich nach Wien kommen und dort Musik studieren könne; ich war damals knapp 20 Jahre alt. Diese und weitere Ermutigungen und der treue Beistand wertvoller Freunde brachten den schon gepflanzten Optimismus zu weiterem Gedeihen. Neurasthenie jedoch blieb immer ein bestimmender Faktor. Vielleicht ist sie die Ursache, warum mir musikalischer Stil nicht nur eine Angelegenheit der künstlerischen Ästhetik, sondern auch beinahe ein klinisches Problem ist. Das Hören ist ja nicht bloß ein psychischer Vorgang wie Träumen und Denken, sondern immer auch eine Beanspruchung bzw. Belastung unserer physischen Widerstandskräfte. Denn vom Trommelfell zum Gehirn wird der Klangempfang doch durch Nerven (also Drähte unserer physischen Systeme) geleitet. Hat man empfindliche Nerven, dann will man auch die härtesten und grausamsten Sachen einer künstlerischen Botschaft in erträglicher Sprache anhören. (Von zwei gleich guten Zahnärzten lieber jenen, welcher wenigerer schmerzhaft behandelt als der andere!) Deswegen erscheinen mir manche musikalische Stilarten weiterhin auch noch eine Gesittungsfrage zu sein. Denn der Gentleman will auch grausamste Schicksalsbotschaft in ritterlicher Sprache vortragen und sicherlich dabei eine antiklinische Akustik meiden wollen. So sagen es meine schlechten Nerven. Sie gewähren mir jedoch immerhin auch Freude an, beispielsweise, solchen schroffen Dissonanzen und Kadenzen und Kontrasten und Akzenten, welche von Affekten angetrieben sind, wie sie manchmal auch uns spätzeitlichen Menschen aus immer noch unerIösten uranfänglichen Sporen entsprießen. Jedoch sind mir Klänge, welche die Gehörs-Nerven schonungslos strapazieren, fast immer dann sehr qualvoll, wenn sie gänzlich das Ergebnis rein struktureller Gestaltung sind. Überhaupt erscheint mir alle beziehungslos selbständige Struktur immer nur und überall dann willkommen und eine echte Bereicherung unseres Daseins, wenn sie uns freundlich anspricht. Freilich fordern manche unduldsame Strömungen in der Komponisten-Zunft von ihren Adressaten auch die Bereitschaft, sich vom künstlerischen Erlebnis zuweilen zermalmen zu lassen wie ein Fakir; sie fordern den masochistischen Kunstempfänger. Ferner befinden sich viele Komponisten-Werkstätten unter dem bedrängnisvollen Joch von Stil-Diktaten mit Zwang zu ausschließlicher Pflege einer einzigen Komponisten-Technik für alle Arbeiten, einerlei welchen Inhaltes oder Zieles. Dieser Zwang wird vielfach sogar von zunftfremden Kräften geschürt und von außen an sie herangetragen. Auf meine Werkstatt zurückkommend, wäre zu sagen, dass ich mich keiner ausschließlichen Kompositions-Technik verschrieben habe. Ich wähle aber häufig, insbesondere seit den letzten 10 Jahren, jeweils für ein Opus, ganz ad hoc, einen ziemlich scharf umrissenen Satz-Stil, eine streng geordnete eigene Tonalitäten-Syntax, die sehr beständig durch das ganze Gefüge eines Werkes herrscht und nur auf dieses hingeprägt ist. Zuweilen ist das Instrumentarium eines Opus bestimmend auf die Wahl des Tonalitäten-Gebrauchs. Zumeist aber sind Inhalt und Botschaft, das superponierte Thema, entscheidend für die Wahl der Satz-Technik bei einem bestimmten Opus. Im Vorstellungsleben von Komponisten werden freilich oft solche Musik-Gebilde sichtig, für deren verständliche Realisation unsere Zivilisation noch kein ausreichendes Instrumentarium bietet. Noch enger ist der Flaschenhals, durch welchen instrumental Ausführbares uns selbst erreichen kann, nämlich das menschliche Ohr. Da die Menschheit darin nicht stationär ist, sondern ihr Aufnahmevermögen nach und nach weiter wird, kann und soll der Komponist, wenn er getrieben ist von echten Gesichten, es durchaus wagen, meine ich, sogar äußere Ränder des Aufnahmevermögens zu streifen. Begibt er sich auf Weiten außerhalb davon, dann sperrt er sich auf die einsame Warte alleinigen Genusses der unzugänglichen Landschaft seiner eigenen Geistigkeit. Gehören aber Ansprache und Mitteilung an eine Empfängerschaft zur Integration eines Opus, dann sehe Ich unausweichlich vor meinen Augen ein ewiges Gesetz unserer Zivilisation: Die Menschheit ist bei der Kunst zu Gast. Soweit
die vertraulichen Mitteilungen an Freunde. Auf die Fragen nach meinen
Kompositionsprinzipien nochmals zurückkommend, muss ich erklären, dass
eine umfassende Beantwortung derselben allzu schwierig und umständlich
und raumzehrend wäre, zumal sie sich von Opus zu Opus grundlegend
ändern, für jede Komposition von Grund auf neu geprägt werden. Aber
gerade das ist das Kardinalprinzip davon, dass sie für jedes Opus neu
geprägt werden sollen. Z. B. "Concerto Manuale", handgespielte Musik:
den Eigenschaften der handgespielten Instrumente wird (in dem Stück)
volle Rücksicht gewahrt. Die Komposition bewegt sich zur Gänze in den
Bereichen der manuellen Tonerzeugung (Streichen, Zupfen, Schlagen,
Klopfen). Dabei ist das musikalische Material streng disponiert nach der
harten Regel, dass jeder Gruppe des Spielkörpers nur die spieltechnisch
passenden Strukturen zugeteilt sind. So ist beispielsweise den Klavieren
und Metallophon und Marimbaphon an keiner Stelle eine Kantilene
zugemutet. Bei dem Opus "Frauenstimmen im Orchester" liegt im Titel die Betonung auf dem Wörtchen im; statt Bläsern sind Frauenstimmen im Orchester. Sie sind die atem-gespielten Instrumente der Partitur, intonieren ohne jeden Sprachtext. Das verwendete phonetische Arsenal dient ausschließlich der absoluten intrumental-musikalischen Artikulation des Gesanges. Es geht darum, den unverstümmelten reinen Klang der Frauenstimmen zu gewinnen. Das Werk ist jedoch nicht als Etüde konzipiert, sondern jeder der drei Sätze birgt eine eigene traum-musikalische Szene. Folgende Andeutungstitel könnten beigeflüstert werden: Traum am Strom / Gesichte im Fieberschlaf / Szene am Strom. Die musikalische Botschaft kommt bei diesem Werk sowohl durch als auch aus dem Medium. Abermals andersgeartet ist die Relation zwischen Botschaft und Darstellungsmittel im Opus "Chronique Symphonique" (Sinfonischer Zeitbericht) für großes Orchester. Dieses Stück ist ein Versuch eines musikalischen Gleichnisses zum Zeitgesicht; ein Versuch, einen Durchblick zur Szene des mittleren 20. Jahrhunderts so zu wagen, wie etwa Brueghel und Hieronymus Bosch ihrer Art gemäß verfahren würden, lebten sie zur Jetztzeit und wären sie Komponisten statt Maler. Hier liegt der Fall jedoch so, dass von außermusikalischen Zonen erlebte Eindrücke sich ins musikalische Medium einmelden, dort selbst aber den Wuchs einer spezifisch musikalischen Botschaft erregen. Der Titel des Stückes sagt nichts über die Musik direkt aus, sondern deutet auf den externen Erreger. Ähnlich ist der Vorgang in fast allen jenen Kompositionen von mir, welche einen nicht sach-musikalischen Titelhaben. In
den letzten Jahren und auch gegenwärtig gehört meine Vorliebe der
Aufsuchung und Auffindung und Entfaltung und Verkündigung solcher
Botschaften, welche der Thesaurus der sach-musikalischen Mittel selbst
in sich birgt. Und vielleicht kann man auch auf diesem Wege in tiefe
Bereiche noch unverkündeter Musik gelangen. |