Selbstdarstellung:
A. Die Situation
Trotz mehr oder weniger kurzlebigen Aufflackerns des öffentlichen
Interesses an zeitgenössischer Musik bei Festivals wie "MUSICA" in
Straßburg, "Wien modern" in Wien oder Veranstaltungen in Huddersfield in
Großbritannien, scheint die Situation der heutigen sogenannten "Ernsten"
Musik durchaus schwieriger denn je:
Das Unverhältnis der Unterstützung älterer Musik (Musik, die vor 1920
entstanden ist) zu neuerer Musik durch die öffentliche Hand hat sich in
den letzten 20 Jahren auf ca. 92 : 8 eingependelt. Das heißt, daß von
100 Schilling, die von der öffentlichen Hand (Bund, Länder, Städte) in
die Musikförderung fließen, nur ca. 8 Schilling der Förderung
zeitgenössischer österreichischer Musikproduktion, Aufführung und
Verbreitung gewidmet sind.
- Auf der einzigen großen Musikbühne Osterreichs, der Wiener Staatsoper,
ist die österreichische Musik nach 1945 nur sehr sporadisch vertreten.
- Bei den Theatern in den anderen Bundesländern ist die Situation kaum
anders.
- Bei den großen Musikfestivals Osterreichs (Salzburger Festspiele,
Wiener Festwochen, Bregenzer Festspiele usw.) spielt die Neue Musik
bestenfalls
eine Alibirolle.
- Im Rundfunk, im Fernsehen gibt es sie - trotz gegenteiliger
Beteuerungen der Verantwortlichen - eigentlich nicht mehr.
Auch an den Hochschulen hat sich die Situation - trotz durchaus
begrüßenswerter legislativer Initiativen - nicht wesentlich verbessert.
Die Liste ließe sich beliebig verlängern. Auffallend dabei ist, daß sich
die Probleme der heutigen sogenannten "Ernsten" Musik vollkommen
gleichmäßig auf die verschiedensten Stilrichtungen, in denen sie sich
präsentiert, verteilen: Es scheint für die öffentliche Akzeptanz
gleichgültig, ob "schöne neue Musik", "postmoderne", "postserielle",
"neoromantische", "experimentelle" oder was auch immer präsentiert wird:
Weder ist die Förderung höher noch ist das Publikum zahlreicher. Zu den
Problemen, die ich bisher skizziert habe, kommt ein weiteres, das in
anderen europäischen Ländern schon seit einigen Jahren, in den USA schon
seit vielen und in Österreich in den letzten Jahren immer deutlicher
wird. Es handelt sich um die Frage der Akzeptanz verstärkter Förderung
von "Klassik" (heute meist als "Classic" bezeichnet) im Vergleich zur
sogenannten "U-Musik", oder anders und breiter ausgedrückt von
"Hochkultur" im Vergleich zur "Tiefkultur" (?). In einer Zeit, in der
Wert oder Unwert von Dingen, Tätigkeiten,
Einrichtungen usw. in erster Linie über ihren finanziellen Ertrag
beurteilt werden, in der Kulturereignisse ihre "Rentabilität" nachweisen
müssen, in der Kultur zum Werbeträger für kommerzielle Zwecke verwendet
werden muß, um sie noch finanzieren zu können, scheint die Argumentation
für total unrentable Kunst - was zeitgenössische Musik unleugbar sein muß: Die Aufführung kostet viel mehr als die Aufführung älterer Musik,
die Entstehung müßte eigentlich finanziert werden (wird sie aber oft
einfach nicht - der Komponist wird also zum Hobby-Komponisten
degradiert! -) und die Einkünfte sind normalerweise nachgerade
vernachlässigbar! - außerordentlich schwer, wenn nicht unmöglich.
Wieder ist auffallend, daß die Akzeptanz der gezielten und verstärkten
Förderung zeitgenössischen Musikschaffens eher in Frage gestellt wird
als die Akzeptanz der weitaus höheren Förderung der älteren Musik. Dabei
wäre doch hier auch im internationalen Vergleich viel eher die Frage zu
stellen, wie lange sich ein kleines und nicht gerade reiches Land wie
Österreich eine Staatsoper, die diversen Bühnen in Wien und den anderen
Bundesländern, die großen Festspiele, die Unzahl der kleinen Festivals
von Hohenems bis Grafenegg sowie die vielen Orchester noch leisten kann
und will.
Im großen und ganzen kann gesagt werden - und da ich in vielen Bereichen
der Musik tätig war, verfüge ich durchaus über die nötigen Informationen
-, daß die Produzenten, die Verleger, die Veranstalter und auch die
Interpreten, die sich neuer "klassischer" Musik widmen, eher bestraft
als gefördert werden. In allen Bereichen gibt es Hürden und
Beeinträchtigungen, die es im Bereich der alten Musik nicht gibt,
darüber hinaus noch deutlich (92 : 8!) weniger Unterstützung.
B. Gründe
Natürlich ist das Thema so komplex, daß ich hier nur auf einige Details
hinweisen kann, und zwar in erster Linie auf jene, die verhältnismäßig
leicht verbesserbar wären - wenn man das wollte.
- Es gibt in diesem Land eigentlich keine Kulturpolitik, die diesen
Namen verdienen würde. Das Lesen der Kunstberichte des Bundes und der
Länder, des Vergleichens der Subventionen zeigt dies deutlich. Es fehlt
- trotz der immer wiederkehrenden Regierungserklärungen, in denen schöne
Worte zur Förderung zeitgenössischer Kunst gefunden werden - an den
entsprechenden klaren Richtlinien. Offensichtlich hat niemand den
nötigen Mut, genau zu definieren, was im Bereich der Musik eigentlich
förderungswürdig sei, so daß möglichst wenig verhindert wird, aber auch
nichts wirklich gefördert. Kulturbeiräte, Musikbeiräte wurden
geschaffen, um Argumentationsnotstände zu vermeiden, nicht aber, um
Weichen für eine zukünftige Kulturpolitik zu erarbeiten.
- Die Auslandskulturpolitik verdient diesen Namen sicherlich nicht. Bei
der Durchsicht der Programme europäischer Festivals, die in der
europäischen Konferenz zusammengefaßt sind, fand im Jahre 1990 außer mir
keinen
österreichischen Komponisten vertreten. In vielen internationalen
Versammlungen fiel die österreichische Absenz auf. Internationale
Projekte auf lange Sicht haben in Österreich kaum eine Chance auf
Unterstützung und Verwirklichung.
- Die Situation der Komponisten in Österreich ist katastrophal. Nicht
nur die Einkommenssituation durch AKM-Tantiemen und Aufträge, sondern
auch die soziale Lage und versicherungsmäßige Absicherung ist in diesem
Land, das heuer in nicht immer geschmackvoller Weise den 200. Todestag
eines österreichischen Komponisten feiert (!), beschämend.
- Interessanterweise scheinen die Komponisten selbst nicht allzu
unglücklich zu sein. Es gibt keinen gemeinsamen Aufschrei gegen diese
Situation, es gibt nicht einmal eine starke Interessensvertretung, die
auf Mißstände immer wieder hinweisen würde, die versuchen würde, die
Situation zu verbessern. Statt dessen kämpft ein Verband verbissene
Grabenkämpfe gegen einen anderen, in dem im großen und ganzen die
gleichen Mitglieder vertreten sind. Die Komponisten bekämpfen sich also
nicht nur untereinander, sondern wir haben es auch schon geschafft,
gegen uns selbst zu kämpfen. Daß dies den Anliegen der Komponisten nicht
gerade förderlich ist, liegt auf der Hand.
- Auffallend ist auch das schlechte Gewissen der Komponisten der sogenannten "E-Musik". In vielen Bereichen wird man immer wieder
aufgefordert,
ein Thema nur nicht anzuschneiden, die Situation würde dadurch noch
schwieriger. Heute meine ich, daß die Situation eigentlich nicht mehr
schlechter werden kann. Für die zeitgenössische "Ernste Musik" ist die
Talsohle erreicht, es kann nur aufwärts gehen. Die Alternative sollte
eigentlich heißen: nicht mehr zu komponieren oder Musikantenstadl-Musik
zu schreiben, was viel leichter wäre und viel lukrativer.
C. Verbesserungen
1. Eine Verbesserung der Situation kann nur erreicht werden, wenn es den
Komponisten in Österreich gelingt, gemeinsam - unabhängig von
irgendwelchen stilistischen und vermeintlichen qualitativen Ansprüchen -
an einem Strang zu ziehen. Das scheint mir eine unabdingbare
Voraussetzung für eine mögliche Durchsetzung von irgendwelchen
Verbesserungen.
2. Die finanzielle Basis für mögliche Förderungen muß vergrößert werden.
Eine Möglichkeit dazu wäre die Forderung nach dem "domaine public payant".
Ich habe dazu ein Symposion in Salzburg Feber 1992 initiiert,
auf dem Lösungsmöglichkeiten für Österreich und auch international
diskutiert und durchgesetzt werden sollen.
3. Auf allen Ebenen muß die österreichische Kulturpolitik diskutiert und
verbessert werden. Nicht nur im Interesse der Neuen Musik, sondern im
Interesse der Kultur und damit dieses Landes im ganzen müssen große
Anstrengungen unternommen werden, um dem gegenwärtigen
Kulturprovinzialismus entweichen zu können.
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